Reisen mit „Servas“

erschienen in der Zeitschrift „Contraste. Die Monatszeitung für Selbstorganisation“ Juli/August 2013

„With every true friendship we build the basis for World Peace…“, so (oder genau zitiert nach Gandhi) steht es auf servas.org, auf diversen servas-länderwebsites und -newslettern. Das hat nicht unmittelbar mit Reisen zu tun, es war aber der historische Ausgangspunkt von Servas und bleibt sein Herz. Seit bald 65 Jahren. Die Idee kam nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutsche aus dem zerschlagenen Nazireich sollten die Möglichkeit haben, mit Leuten aus den überfallenen Ländern in Kontakt zu treten und umzulernen, das Gift des Nationalismus, das die Köpfe verpestet, sollte bei aufgeschlossenen Leuten im gegenseitigen Kennenlernen über die Grenzen hinweg ein Antidot finden. ServasianerInnen liegen demnach bei National- und Heimatstolz und dergleichen Dingen zumindest ziemlich weit hinten in den Rängen.

Das Wort Servas ist Esperanto und meint „du dienst“, „bewirtest“. Reisen mit Servas sind nicht Pauschalreisen im Club Med, auch kein Braten am Teutonengrill der Strände, keine Gelegenheit, einmal im Jahr vom Rhythmus von Arbeit und Konsum ins bloße Konsumieren umzuschlagen. Servas ist ein bisschen jenseits davon, es ist etwas für Leute, die auf andere Menschen neugierig sind, sich auf andere mit Respekt und Freundlichkeit einlassen wollen, sich auf neue Horizonte freuen, ein Stückchen eintauchen in den Alltag von anderen, sich dabei auch gerne nützlich machen. Ich war mit Gastgebern auf einer Hochzeit und habe einem Host bei seinem monatlichen Großeinkauf geholfen, ein Uni-Mensch hat uns (meine Frau und mich), weil wir über Herbert Marcuse und Angela Davis sprachen, zu deren Institut geführt, und Geschirr gespült haben wir auch, vor allem aber haben wir mit unseren Gastgebern lang und meist auch intensiv gesprochen, auch über unsere Ansichten und darüber, was wir dafür tun und tun wollen. Und wer zuhören kann bei solchen Besuchen, erspart sich manches dicke Buch.

Zwei Tage Besuch ist die Servas-Regel. Manche Gastgeber sind in Lebenslagen, wo auch der Alltag einen mehrtägigen Besuch zulässt, und bieten das von sich aus an, von vornherein oder weil sich der Besuch so angenehm und fruchtbar anlässt. Wer eine Wohnung zum Tauschen hat, mag das gerne kombinieren – „home exchange“ (geht auch mit manchen ServasianerInnen) und sich mit „local Servas people“ treffen (in großen Städten mag das auch bei nur 20.000 hosts weltweit prächtig funktionieren.).

Globetrotter sein oder die Welt empfangen

Es gibt Leute bei Servas, die derzeit nicht oder nicht mehr verreisen, sie warten auf die große Welt mit Erfolg daheim, die meisten beherbergen Gäste, manche treffen sich bloß mit ihnen zum Essen, zu Kaffee und Reden, zeigen ihnen ihre Stadt und so. Ein Gutteil jedoch ist einmal Gastgeber, ein andermal auch Reisender. Die Frequenz ist je nach Gelegenheit und Lust drauf höchst unterschiedlich. Wir selber nehmen und bekommen relativ viele Gäste, im Schnitt einmal im Monat. Unser erster kam aus Australien, später dann noch zwei weitere. Andere aus der hiesigen Alpenrepublik und den Nachbarländern Ungarn, Slowakei, Italien, Schweiz und Deutschland. Aus Frankreich sowieso (meine Frau ist ausgesprochen frankophil), aus Reunion, England, Spanien, den USA, Kanada, Brasilien, Mexico, der Ukraine, Russland, Schweden, Japan und wahrscheinlich auch noch ein paar andern Ländern. Im Alter zwischen 17 und 75, allein und paarweise, vom Schüler bis zur Pensionistin, Sozialarbeiter, Beamte, eine Psychiaterin, LehrerInnen, Arbeitslose, Techniker, Schweigsame, Wissbegierige und Plaudertaschen. Und wer weiß, wer da noch kommen wird. Wir sind ja noch keine zehn Jahre dabei. Gar nicht so selten aber werden hosts und travellers Freunde, der Kontakt bleibt aufrecht, die Besuche werden gegenseitig.

Servas.org

Regionale und länderübergreifende Treffen und Projekte nehmen zu. Die Servas-Gruppen haben offenbar eine Menge Leute, die derlei einfach mit Freude auf die Beine stellen, denn Cash gibt es fürs Organisieren nicht. Menschen aus aller Welt zusammen und ins Gespräch zu bringen ist der Focus, Frieden und Verständnis Stiften das Augenmerk. So findet an Überregionalem z.B. in näherer Umgebung ein „International Servas Summer Meeting“ zu „Berlin between War and Peace“ ebendort im nächsten August statt (www.servas.de) und im September in Klagenfurt das jährliche „Alpe-Adria“-Treffen mit Leuten aus der Region und dem Rest der Welt (austria.servas.org). Auf servas.org findet sich diesbezüglich ein Überblick, was da alles unterwegs ist.

Und wie kommt eins in den Verein? Natürlich hat sich auch ins altehrwürdige Servas die Elektronik eingeschlichen. Es gibt Mailinglisten, die host lists haben elektronisches Format und werden inzwischen von den meisten Gruppen in diesem den Reisenden auch zur Verfügung gestellt. Und wer mehr über Servas wissen will, findet Infos auf der zentralen Website servas.org und auf einer Menge regionaler Websites der größeren unter den ca. 160 Ländergruppen. Wenn sich aber Menschen uns anschließen wollen, dann füllen sie kein Formular im Internet aus, sondern arrangieren ein Treffen mit einem Mitglied, einer/m „InterviewerIn“, zum Gespräch über Servas, unsere Regeln, Praktiken und Erfahrungen sowie über ihre Vorstellungen, Erwartungen und Wünsche.

Grenzen überschreiten!

Freilich hat unser Tun und vor allem unser Reisen Grenzen, und die sind gar nicht so weit gesteckt. Der größte Teil der Menschheit kann nicht viel, wenn überhaupt verreisen. Von hier aus kommt eins meist ohne viel Umstände in die meisten Länder der Welt. Umgekehrt nicht. Wer aber aus einem Land des Trikont z.B. in die EU will, steht unter dem Generalverdacht, dass er „uns hier zur Last fällt“. Wer da hineinwill, muss zeigen, dass er mehr zahlen kann, als er meist hat. Selbst ein Zahnarzt aus der Türkei hat uns erst besuchen können, nachdem wir uns verpflichtet hatten, den Staat Österreich in jedem Fall für alle Kosten zu entschädigen, die unser Gast hier eventuell verursachen könnte. Die reichen Länder sind eine Festung mit bürokratischen Mauern, elektronischem Grenzzaun und einer Flotille zur „Abwehr der Fremden“. Mit dem Effekt, dass heute an den EU-Außengrenzen weit mehr Menschen sterben als seinerzeit am Eisernen Vorhang und die Menschen nicht mehr von ihren Regierungen eingesperrt, sondern von „unseren“ ausgesperrt werden. Ist das nicht eine der neuen Formen von Krieg, eine Verletzung der Menschlichkeit, ein Schlaghammer an „the basis for World Peace“? Auch da sollte Servas Grenzen überschreiten!

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